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Deutsche Verfassungswirklichkeit schwarz auf weiss


Der "Grundrechtereport 2000" geht ihr auf den Grund


19.06.2000 (sap)
Einschränkungen von Freiheitsrechten des Einzelnen und vom Staat initiierte Ungerechtigkeiten sind in vielen Bereichen deutsche Realität. Kritik daran ist angebracht und wichtig, wird jedoch jenseits der kritischen Zeitungskommentare umso aussagekräftiger, wenn JournalistInnen und WissenschaftlerInnen die Verfassungswidrigkeit staatlicher Übergriffe in Buchform aufzeigen.
Im Grundrechte-Report 2000 präsentieren die Humanistische Union, die Gustav-Heinemann-Initiative, das Komitee für Grundrechte und Demokratie und der Bundesarbeitskreis kritischer Juragruppen zum vierten Mal einen "alternativen Verfassungschutzbericht".
Stichhaltig und konsequent zeigen die AutorInnen alltägliche Verstöße gegen die nunmehr seit 10 Jahren gesamtdeutsche Verfassung auf. Damit ist es in den 40 Artikeln gelungen, die erschreckend weit voneineander entfernt liegenden Maßstäbe Grundgesetz und politische wie gesellschafltiche Wirklichkeit darzulegen.
Dass jedes Menschenleben wichtig und seine Rechte zu achten sind, beweisen die AutorInnen neben ihren inhaltlichen Aussagen durch die gleichwertig nebeneinander stehenden Darstellungen der unterschiedlichsten Aspekte des Lebens. Diskriminierungen von Minderheiten und Einzelpersonen stehen hier neben Großverstössen wie der deutschen Beteiligung am Angriffskrieg im Kosovo, der CDU-Spendenaffäre oder der Ungleichheit zwischen Ost und West. Dies beweist, dass es den HerausgeberInnen Till-Müller-Heidelberg, Ulrich Finckh, Verena Grundmann und Elke Steven nicht um Öffentlichkeitswirksamkeit geht, sondern Gerechtigkeit den Menschen gegenüber .

In ihrem Leitartikel "Prüfstein Verfassungswirklichkeit - Zehn Jahre Grundgesetz in Ostdeutchland" stellt die Journalistin und Schriftstellerin Daniela Dahn sehr ausführlich die ungleiche Behandlung von BürgerInnen in Ost-und Westdeutschland dar. Im Osten habe man schon zu DDR-Zeiten auf zynische Weise die Erfahrung machen müssen, dass Papier geduldig ist . Viel habe sich daran nicht geändert, meint Dahn. Sie belegt dies an verschiedenen Beispielen, wobei sie die Geschichte und Gesellschaftsstruktur der ehemaligen DDR mit einfließen lässt und so ein historisch fundiertes Gesamtresumee der Menschenrechtssituation zieht. In zurecht anklagendem Stil versucht sie ihre Leserschaft zu überzeugen. Inhaltlich und rhetorisch stellt sie sich gegen diejenige Rechtssprechung, die eine Unterscheidung zwischen Ost und West für gerecht erklärt.
Andere Autoren rütteln die Leser weniger emotional aus ihrem Tiefschlaf deutscher Verfassungswriklichkeit gegenüber wach, sondern vermitteln diese durch eine sachliche Darstellung der Fakten. Inwiefern Behinderte bei vielen Fluggesellschaften "Rausgeflogen" sind, berichtet der Journalist Franz-Josef Hanke in seinem gleichnamigen Artikel. Die menschenunwürdige Behandlung durch Fluggesellschaften an konkreten Beispielen festzumachen, ist glaubwürdig und schockierend. Besonders durch Möglichkeiten des Gesetzgebers,"Einfluss auf die Praxis zumindest deutscher Fluggesellschaften zu nehmen" , die der HU-Pressesprecher am amerikanischen Beipiel darlegt, erhebt er klare Forderungen zur konkreten Verbesserung der Situation Behinderter.
Vielseitig und spannend sind auch die verschiedenen Beiträge zur Bundeswehr. Sie problematisieren zentrale Fragen wie die Wehrpflicht, die Benachteiligungen von Homosexuellen in der Bundeswehr und den Dienst von Frauen an der Waffe. Besondere Brisanz bekommt dieses Thema noch durch den Bundeswehreinsatz im Kosovo, wobei die insgesamt antimilitaristische Haltung der Herausgeber druch die Vielseitigkeit der Beiträge nicht dogmatisch durchgehalten wird.
Selbst der politisch bewussten Rezensentin brachte der Grundrechtereport neue Aufschlüsse. So berichtet Romani Rose, Präsident des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma, dass in Bayern immernoch die von den Nazis eingeführten "Landfahrer-Dateien" weitergeführt werden. So berichten Rolf Gössner und in einem anderen Beitrag Martina Gössner das polizeiliche Dateien nach dem Prinzip "einmal verdächtig - immer verdächtig" ohne konkrete Verdachtsmomente und mit fragwürdigen Rechtsgrundlagen Personen erfassen, die irgendwann in die Ermittlungsraster hineingeraten sind.
Angesichts dieser Inhalte ist es traurig, dass der Rohwohlt-Verlag mit den geringen Verkaufszahlen des Grundrechtereports 1999 und seiner Vorgänger so unzufrieden war, dass die Herausgabe des Grundrechtereports 2001 noch nicht endgültige gesichert ist. Jedem, dem an der Verwirklichung der Menschenrechte jenseits der politschen Schönrednerei gelegen ist, sei das 212-seitige Buch wärmstens anempfohlen.
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